Nach der beispiellosen Protestwelle gegen ein neues Internet-Gesetz im Iran hat sich der Parlamentspräsident in einer Botschaft um Beschwichtigung bemüht.
«Die ganzen Medienberichte diesbezüglich entsprechen nicht den Tatsachen», schrieb Mohammed Bagher Ghalibaf am Donnerstag auf Instagram. Beliebte Onlinedienste wie Instagram und WhatsApp sollen laut Ghalibaf in dem Gesetz nicht blockiert, sondern deren «technische Parameter» von Experten geprüft werden. Letztendlich werde das Parlament eine rationale Entscheidung treffen, so der Parlamentspräsident, der derzeit in Syrien ist.
Die Hardliner im Parlament hatten am Mittwoch nach langem Hin und Her ihr neues Internet-Gesetz durchgesetzt. Wegen der vielen Streitpunkte wurde darüber aber nicht öffentlich debattiert. Die Details sollen in einem technischen Ausschuss noch finalisiert und danach laut Verfassung dem sogenannten Wächterrat zur endgültigen Bestätigung weitergeleitet werden.
Offiziell geht es in dem Gesetz um die Aufsicht sowie eine Nationalisierung des Internets – also die Schaffung iranischer Alternativen zu beliebten Onlinediensten. Kritiker jedoch halten die Argumentationen im Parlament für juristische Floskeln und den Prozess für eine Ablenkung, um das wahre Ziel – eine Lahmlegung vieler Plattformen – zu vertuschen. Außerdem sollen laut dem Gesetz alle Internetnutzer registriert und sämtliche VPN-Apps, mit denen Iraner sich über Datentunnel Zugang zu unerlaubten Webseiten verschaffen, verboten werden.
Die parlamentarische Entscheidung hat landesweit eine beispiellose Protestwelle ausgelöst. Auch in Regierungskreisen wurde das Gesetz als irrational und illegitim kritisiert und vor einer Spaltung von Gesellschaft und politischer Führung gewarnt.
Das neue Internet-Gesetz ist aber nur ein Teil der zahlreichen Probleme im Iran. Das Land steckt wegen der US-Sanktionen in einer akuten Wirtschaftskrise, die durch die Corona-Pandemie verschärft wurde. Außerdem herrscht eine neue Dürrewelle, die besonders in der Provinz Chusestan im Südwesten des Landes bei Temperaturen bis zu 50 Grad zu Wasserknappheit und Stromausfällen führte.
Daraufhin gab es Proteste in mehreren Teilen der Provinz, bei denen auch regimekritische Parolen gerufen wurden. Das führte zu Zusammenstößen mit Polizei und Sicherheitskräften; es gab Festnahmen sowie auf beiden Seiten Tote und Verletzte. Aus Solidarität mit den Menschen in Chusestan gab es dann auch Proteste in der Hauptstadt Teheran und einigen anderen Großstädten. Dabei wurde die Polizeigewalt gegen Menschen, die nur Wasser und Strom wollen, kritsiert.
Viele Iraner verstehen nicht, warum das Parlament sich nun trotz dieser Probleme mit Internetzensur befasst. Gewarnt wird zudem, dass das Gesetz die Existenz von mehr als einer Million Iraner gefährde, die seit Corona ihre Geschäfte online führen müssen. Hinzu kommt die Einschränkung der Informationsfreiheit der mehr als 83 Millionen Iraner. «Dann sollte sich das Parlament auch nicht über die Proteste wundern, denn wer Wind sät, erntet bekanntlich Sturm», sagte ein Politologe in Teheran, der namentlich nicht genannt werden wollte.
Das Internet ist dem islamischen Establishment seit Jahren ein Dorn im Auge, weil es die vom Staat kontrollierten Medien komplett untergraben hat. In diesen wären beispielsweise Berichte über die jüngsten Unruhen noch zensiert worden, aber wegen der Informationen und Videos in den sozialen Medien war dies nicht mehr möglich. Insbesondere Jugendliche verfolgen die politischen Entwicklungen nur noch im Internet und ignorieren die staatlich gesteuerten Medien.
In einer Zwickmühle steckt nun Ebrahim Raisi, der am kommenden Donnerstag als neuer iranischer Präsident vereidigt wird. Proteste am Anfang seiner Amtszeit kann er sich nicht leisten, Ärger mit Parlament und Hardlinern aber auch nicht. Schließlich war er bei der Wahl deren Spitzenkandidat und verdankt ihnen seinen Sieg. «Raisi muss sich bis nächste Woche entscheiden, ob er lieber das Volk oder die Hardliner gegen sich haben will», sagte der Teheraner Politologe.