Die Grünen-Politikerin Renate Künast will mit einem Grundsatzurteil weiterreichende Löschpflichten für als rechtswidrige gemeldete Inhalte bei Facebook erzwingen.
Unterstützt wird sie dabei von der Organisation Hateaid, die sich gegen Hass und Hetze im Netz engagiert und auch Prozesskostenhilfe leistet. Die meisten Betroffenen hätten nicht den Mut, die Kraft und vor allen Dingen nicht das Geld, sich gegen große Plattformen zur Wehr zu setzen, sagte die Geschäftsführerin von Hateaid, Anna-Lena von Hodenberg, in Berlin. «Und das wollen wir ändern.»
Gegenstand der Klage ist ein Satz, der Künast von Nutzern im Netz zugeschrieben wird, den sie nach eigenen Angaben aber nicht gesagt hat. In einer Variante werden ihr die Worte in den Mund gelegt: «Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal Türkisch lernen.» Tatsächlich habe sie in einer ARD-Sendung vor Jahren den SPD-Politiker Thilo Sarrazin aufgefordert, sich den türkischen Namen einer anderen Teilnehmerin der Talkrunde zu merken, die dieser wiederholt falsch ausgesprochen habe, so die Grünen-Bundestagsabgeordnete.
Künast will erreichen, dass Facebook diese oder sinngleiche Beitrage sucht, prüft und löscht, falls das Zitat nicht ausdrücklich als falsch gekennzeichnet ist.
«Du kannst dich wehren, du kannst irgendwo was dazuschreiben. Dann wird vielleicht eines gelöscht, aber es taucht kurze Zeit später oder in einem ähnlichen Zusammenhang doch wieder auf», beschrieb Künast den Versuch, das bereits seit Jahren kursierende Zitat richtigzustellen. Sie empfinde den Inhalt als üble Nachrede. «Das kann mir – macht es sicherlich auch – als Politikerin schaden, weil Menschen denken, dass ich sowas tatsächlich gesagt hätte.» Die Verbreitung solcher Inhalte sei häufig eine orchestrierte Aktion von Rechtsextremisten, die damit Aufregung und hasserfüllte Reaktionen auslösen wollten.
Am späten Montagabend habe Facebook ihr auf einen Brief vom 12. April geantwortet, sagte Künast. Ein Facebook-Sprecher bestätigte das. «Wir haben das von Frau Künast gemeldete falsche Zitat von der deutschen Facebook-Plattform entfernt und Frau Künast darüber informiert, dass wir ebenfalls Schritte einleiten, um identische Inhalte zu identifizieren und zu entfernen», saget er. «Wir tolerieren keine unzulässigen Inhalte auf unseren Plattformen und haben deshalb massiv in Technologie, menschliche Expertise und Partnerschaften investiert.» Künast sagte, das sei «ein netter, aber durchsichtiger Versuch, mich ruhigzustellen oder zufriedenzustellen». Es gehe aber um das grundsätzliche Problem, dass es nicht «Lebensaufgabe» Betroffener sein dürfe, Falschzitate selbst zu finden.
Die Klage sei am vergangenen Freitag beim Landgericht Frankfurt am Main eingereicht worden, sagte Rechtsanwalt Matthias Pilz, der Künast vor Gericht vertreten soll. Das Gericht konnte dies auf Anfrage am Dienstag nicht bestätigen. Tatbestand sei üble Nachrede. Ziel sei zu klären, dass es eine Löschpflicht für Plattformbetreiber gebe – und zwar nicht nur für gemeldete und damit beanstandete Beiträge, sondern auch für wort- oder sinngleiche Posts.
Die Kläger rechnen sich Chancen aus durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von Oktober 2019, das auf die Klage einer österreichischen Grünen-Politikerin zurückging. Damals hatten die obersten EU-Richter geurteilt, dass das europäische Recht Anordnungen nationaler Gerichte nicht entgegensteht, die Online-Dienste zum gezielten Aufspüren und Löschen rechtswidriger Beleidigungen oder Kommentare verpflichten. Unter Berücksichtigung des relevanten internationalen Rechts könne sogar veranlasst werden, rechtswidrige Äußerungen weltweit zu suchen und diese zu löschen. Diese müssten allerdings mit automatisierten Techniken auffindbar sein.
Er halte dieses Urteil eins zu eins für übertragbar auf den Fall Künasts, solange es um Zitate gehe, die Facebook wie in diesem Fall mit seinem Faktenprüfer-Team bereits als falsch gekennzeichnet habe, sagte Anwalt Pilz. Das sei zu unterscheiden von Fällen, in denen erst noch geklärt werden müsse, ob eine Aussage stimme oder nicht.
Hateaid hofft auch auf die Reform des europäischen Gesetzes über digitale Dienste, die aber noch ganz am Anfang steht. Die EU-Kommission schlug im Dezember vor, dass Online-Plattformen Entscheidungen über Inhalte begründen müssen und auch ein Verfahren für Einsprüche etwa gegen Löschungen vorsehen. Solche Verfahren könnten Nutzern aufwendige Klagen ersparen, meint die Organisation.