Mission «Verschmelzung»: Software-Strategien der Autobauer
Mit Multi-Milliarden-Investitionen versuchen die deutschen Hersteller, Antriebsplattformen und IT-Systeme aus einem Guss selbst zu entwickeln. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Clara Margais/dpa)

Natürlich war es kein Zufall, dass der Stuttgarter Autobauer Mercedes-Benz für sein «Strategie-Update» den Standort Sunnyvale in Kalifornien anstelle der Zentrale in Untertürkheim wählte. Silicon Valley statt «The Länd»: Im Herzen der Tech-Industrie erklärten Vorstandschef Ola Källenius und seine Kollegen am Mittwoch, wie das eigene Betriebssystem (MB.OS) den Konzern in eine «softwaregetriebene Zukunft» führen soll. Eine Zukunft, die sich auch die anderen großen deutschen Hersteller erschließen wollen.

Mitte des Jahrzehnts will der Autobauer mit dem Stern MB.OS einführen – gemeinsam mit der neuen Fahrzeug-Plattform MMA. Das Unternehmen habe sich dazu entschieden, «Architekt des eigenen Betriebssystems» zu sein, sagte Vorstandschef Ola Källenius. Software sei eine Kernkompetenz für einen Autobauer. «Jetzt müssen wir liefern», sagte Källenius.

Interne Software-Expertise als Schlüssel

MB.OS werde vom Unternehmen selbst entwickelt, um die volle Kontrolle über die Kundenbeziehungen zu behalten sowie den Datenschutz zu gewährleisten. Es habe Zugriff auf sämtliche Bereiche des Fahrzeugs: Infotainment (Unterhaltung und Information), Fahrzeug- und Komfortfunktionen, Fahren und Laden sowie automatisiertes Fahren. Das Betriebssystem entkoppele Hardware von Software und ermögliche schnellere Innovationszyklen und erhöhe – mit einer Verbindung über die Cloud – die Flexibilität und Geschwindigkeit von Updates.

Das Unternehmen setzt bei der Autosoftware auf interne Expertise, aber auch auf ausgewählte Partner. So solle künftig zum Beispiel die App der Video-Plattform YouTube in den Autos verfügbar sein. Anwendungen der Videokonferenzdienste Webex und Zoom sollen ebenso integriert werden wie der Spieleanbieter Antstream. Zudem soll der wichtige chinesische Markt mit Inhalten des Online-Giganten Tencent bedient werden. Beim automatisierten Fahren arbeitet Mercedes zudem schon länger mit dem US-Spezialisten Nvidia zusammen.

Bis Ende des Jahrzehnts sollen die Umsätze mit Software auf einen hohen einstelligen Milliarden-Euro-Betrag wachsen. Bereits 2022 hätten die software-basierten Umsätze über einer Milliarde Euro gelegen. 2025 soll mit den digitalen Diensten eine Milliarde Euro Gewinn vor Zinsen und Steuern erwirtschaftet werden. Nach eigenen Angaben steckt Mercedes pro Jahr ein bis zwei Milliarden Euro in die Entwicklung. Mitte des Jahrzehnts sollen die Ausgaben für Software dann 25 Prozent des Budgets für Forschung und Entwicklung ausmachen.

Das plant der Volkswagen-Konzern

Im VW-Konzern ist der Aufbau eines Softwaregeschäfts das zentrale Zukunftsthema neben dem Ausbau der E-Mobilität. Eine mittlere zweistellige Milliardensumme fließt in den kommenden Jahren allein in Digitalisierung und Fahrzeugvernetzung. Schwerpunkt der neu gegründeten IT-Sparte Cariad ist die Entwicklung eigener Auto-Software – zum Beispiel für bessere Drahtlos-Updates, Multimedia-Dienste oder Funktionen zu unterschiedlichen Stufen des assistierten, automatisierten und später gänzlich autonomen Fahrens.

Entstehen soll ein «Software-Rückgrat für alle Konzernfahrzeuge», auch um unabhängiger von Google oder Apple zu werden und mehr Wertschöpfung aus selbstprogrammiertem Code zu erzielen. Die Software soll Aufgaben in der Steuerung, Bedienung und Vernetzung übernehmen und zudem eine wichtige Rolle in der geplanten VW-Mobilitätsplattform spielen. Hier geht es um Schnittstellen etwa zu Shuttle-Services, ergänzendem Carsharing, Finanzdienstleistungen und anderen Angeboten.

Der Zeitplan wackelt

Doch das Thema erwies sich bei VW als deutlich komplexer als zunächst angenommen. Seit gut zwei Jahren ist von einem Lernprozess die Rede: Es brauche eben einige Zeit, bis die Entwicklung richtig Fahrt aufnehmen könne. Das Fernziel eines über sämtliche Ausstattungsstufen «skalierbaren» Betriebssystems (VW.OS) für alle Pkw aus dem größten europäischen Autokonzern ist jedenfalls noch lange nicht erreicht.

Der 2022 abgetretene Vorstandschef Herbert Diess hatte eine Plattform für volldigitalisierte E-Fahrzeuge mit VW.OS ab 2026 angepeilt. Weil es jedoch Verzögerungen gab, wuchs der Unmut – insbesondere bei den Töchtern Porsche und Audi, die erklärten, Oberklasse-Kunden sollten nicht allzu lange auf neue Funktionen warten müssen. Abstimmungs- und Entwicklungsprobleme bei Cariad hatten Modelleinführungen verschoben. Diess‘ Nachfolger Oliver Blume entzerrte die Software-Strategie. Damit wackelt aber auch der Zeitplan des VW-Kernprojekts Trinity, das ab 2026 als wichtigstes Modell in einem neuen Werk starten sollte.

BMW: «Wenn Hardware und Software verschmelzen»

Die Münchner wollen zusammen mit großen IT-Konzernen Hardware und Software verbinden. BMW achtet aber darauf, die Hoheit über die Daten zu wahren und die Systeme selbst verknüpfen zu können, um nicht von einzelnen Partnern abhängig zu werden. «Wir haben überhaupt keine Angst vor Tech-Playern, weil wir mit allen zusammenarbeiten», sagte Vorstandschef Oliver Zipse im Januar bei der Technikmesse CES in Las Vegas. Dies sind neben den IT-Giganten auch viele hoch spezialisierte Start-ups. Autos seien nicht bloß Smartphones auf Rädern, sie seien komplex, erklärte Zipse – eine Hürde für etablierte Tech-Konzerne.

2025 will BMW eine neue, auf Elektroantriebe ausgerichtete und softwaredefinierte Fahrzeuggeneration auf den Markt bringen: die sogenannte Neue Klasse. Einen Ausblick gab der Autobauer mit dem Visionsfahrzeug BMW i Vision Dee («Digital Emotional Experience»).

Zipse sagte, der Wagen zeige, «was möglich ist, wenn Hardware und Software verschmelzen». Das Head-up-Display projiziere Informationen über die gesamte Breite der Windschutzscheibe. Und das Auto passe sich den Gewohnheiten des Fahrers an – öffne etwa bei Annäherung automatisch die Tür, schlage Navigationsziele vor und stelle Informationen, Nachrichten, Kalendereinträge oder Social-Media-Posts zur Verfügung. Sogar die Wagenfarbe lasse sich digital ändern.

Von Robin Wille, Jan Petermann und Roland Losch, dpa