Röntgenbilder, Arztbefunde, Medikamentenlisten: Seit einem Jahr können Versicherte Gesundheitsdaten digital parat haben – auf elektronischen Patientenakten (ePA), abrufbar per Smartphone. Sie sollen 2022 mehr Funktionen dazubekommen.
Verbraucherschützer und Krankenkassen setzen überhaupt auf noch deutlich mehr digitalen Schub. Darauf zielen auch Pläne der neuen Bundesregierung aus SPD, FDP und Grünen. Für die freiwillige Nutzung der E-Akten soll laut Koalitionsvertrag künftig das Prinzip «Opt out» gelten – also dass man aktiv widersprechen muss, wenn man sie nicht verwenden möchte.
Der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Um die Akzeptanz zu steigern, ist es ein richtiger Schritt, dass jeder Versicherte die Akte künftig automatisch bei der Geburt bekommt und sich eine lebenslange Gesundheitshistorie aufbaut. Wer das nicht möchte, kann jederzeit widersprechen.» Das jetzige «Opt-in»-Prinzip lege Nutzern durch mehrstufige Zustimmungsverfahren unnötig Steine in den Weg. «Entscheidend ist dann aber, dass die Ärzte die Akte auch befüllen», sagte Baas. Und Voraussetzung dafür sei, dass alle Praxen und Kliniken technisch dazu in der Lage seien.
Noch gibt es bei der vorgesehenen flächendeckenden Vernetzung der ePA aber Verzögerungen wegen teils fehlender Ausstattung. So brauchen Praxen Updates für ein Verbindungsgerät (Konnektor) zur geschützten Datenautobahn des Gesundheitswesens, wie das Bundesministerium erläutert. Die seien nach Herstellerangaben nunmehr «zum großen Teil» erfolgt. Für nötige Updates der Praxisverwaltungssysteme hätten aber einige Hersteller die Entwicklung «nicht zeitgerecht abgeschlossen».
Die E-Akte als freiwilliges Angebot für die 73 Millionen gesetzlich Versicherten war am 1. Januar 2021 mit einer Testphase gestartet. «Die bisherigen Nutzerzahlen haben noch ganz viel Luft nach oben», sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller, der dpa. Viele Anwendungen seien damit effizienter auf den Weg zu bringen, im Interesse der Patienten, aber auch des Gesundheitswesens – etwa welche Medikamente zusammenpassen. Das von SPD, Grünen und FDP geplante «Opt-out»-Prinzip sei in dieser Konstellation in Ordnung, da es die Möglichkeit gebe, selbstbestimmt zu entscheiden.
Bei der Techniker Krankenkasse nutzen ein Jahr nach dem Start 230 000 Versicherte die E-Akte, wie das Unternehmen mitteilte. Am stärksten ist die Verwendung demnach unter 26- bis 35-Jährigen mit 28 Prozent. Besonders beliebt seien Erinnerungen etwa an Vorsorgeuntersuchungen oder das Herunterladen vorhandener Daten über Impfungen, verordnete Medikamente und Arztbesuche, um nicht mit leerer Akte zu starten.
Verbraucherschützer Müller betonte generell, die Patienten müssten Herren ihrer Daten bleiben. Zudem müsse das System sicher sein. «Niemandem geht etwas an, unter welchen Allergien ich leide, welche Krankengeschichte ich habe.» Wichtig sei, dass man entscheiden könne, welche Daten man welchem Arzt zur Verfügung stelle. Ab dem neuen Jahr sollen Patienten das nun auch in verfeinerter Form für jedes einzelne Dokument festlegen können. Datenschützer hatten dies angemahnt.
«Der Nutzen für die Patienten muss jetzt endlich in den Vordergrund rücken», sagte Müller. Kommen sollen dafür 2022 auch neue Funktionen der ePA: der Mutterpass, das gelbe Untersuchungsheft für Kinder, das Zahn-Bonusheft, der Impfpass. Die vorgesehene zweite Ausbaustufe der App soll ab 1. Januar an den Start gehen, erläuterte das Ministerium. Auch dafür müssen Praxen aber technische Voraussetzungen erfüllen.
Die bisherige Einführung sei kein Ruhmesblatt, und daran hätten viele mitgewirkt, sagte vzbv-Chef Müller. «Der Widerstand aus der Ärzteschaft ist einer, über den der Berufsstand sehr selbstkritisch nachdenken sollte.» Unter Ärzten gibt es Frust, nachdem der frühere Minister Jens Spahn (CDU) nach jahrelangem Gezerre mehrere digitale Anwendungen forciert hatte. Ärztepräsident Klaus Reinhardt beklagte kürzlich häufige Störungen sowie teils fehlende Technik und forderte: «Tempo raus aus der überhasteten Digitalisierung». Vorerst sollte man sich darauf konzentrieren, Anwendungen ausgiebig auf Praxistauglichkeit und tatsächlichen Versorgungsnutzen zu testen.