Die Bundesregierung prüft, wie sie der Verbreitung von Hass und Hetze über den Messengerdienst Telegram begegnen kann. Im Umgang mit Telegram werde zudem «ein europaweit einheitlicher Rechtsrahmen» angestrebt, sagte eine Sprecherin des Justizministeriums in Berlin.
«Telegram wird in allen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachteten Phänomenbereichen verstärkt genutzt», teilte das Bundesamt mit Sitz in Köln auf Anfrage mit. «Insbesondere Anhänger der verfassungsschutzrelevanten Corona-Leugner-Szene nutzen die Plattform zur Verbreitung der eigenen Agenda sowie zur Mobilisierung für Demonstrationen und Veranstaltungen.»
Der Messengerdienst Telegram erlaubt neben individueller Kommunikation auch Gruppendiskussionen von mehreren Tausend Nutzern. Telegram ermögliche zudem «das unkomplizierte Teilen von auch strafrechtlich relevanten Videos, Bildern sowie Audiodateien, greift kaum administrativ in Inhalte ein und bietet dadurch die Möglichkeit, beeinflussend auf andere Personen einzuwirken», heißt es seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Maier: „Kein reiner Messengerdienst mehr“
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) sieht eine steigende Gewaltbereitschaft bei den Protesten gegen die staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen. Auch deshalb ist er für Einschränkungen bei Telegram. «Telegram ist schon lange kein reiner Messengerdienst mehr, das ist eine soziale Plattform geworden. Dort wird geworben für Demonstrationen, dort wird auch zu Gewalt aufgerufen, dort werden Adressen veröffentlicht von Politikerinnen und Politikern. Also, hier muss durchgegriffen werden.» Doch er gibt zu Bedenken: «Es ist halt schwierig, weil Telegram kein deutsches Unternehmen ist. Es ist sehr schwer, an die Verantwortlichen ranzukommen.» Seinen Sitz hat Telegram in Dubai.
Viele Menschen weltweit nutzen Telegram vorwiegend zur 1-zu-1-Kommunikation im privaten oder beruflichen Kontext, so wie Wire, Signal, Whatsapp oder andere Messengerdienste. Für einige Nutzer, die bei Youtube oder anderen sozialen Netzwerken wegen extremistischer Inhalte gesperrt worden sind, ist Telegram allerdings eine Ausweichplattform. Ein Beispiel ist der Österreicher Martin Sellner von der Identitären Bewegung. Sein Telegram-Kanal hat mehr als 62.000 Abonnenten.
Martina Renner von der Linkspartei, mit der Maier in Thüringen gemeinsam regiert, ist grundsätzlich dagegen, dass der Staat in die Kommunikationsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger eingreift. Die Bundestagsabgeordnete findet, die Bundesregierung müsse auch auf diplomatischer Ebene auf die Durchsetzung des in Deutschland geltenden Rechts drängen. Letztlich gelte aber: «Verbote und Regulierung können die notwendige politische Auseinandersetzung nicht ersetzen.»
Die AfD, deren Mitglieder und Anhänger Telegram fleißig nutzen, ist strikt gegen jede Regulierung. «Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gehört abgeschafft», sagt Joana Cotar, Digitalisierungsexpertin der AfD-Bundestagsfraktion. Es sei richtig, dass sich Telegram dem entziehe. Schließlich stehe es jedem frei, direkt gegen die Person vorzugehen, die einen vermeintlich strafbaren Inhalt über den Messengerdienst verbreitet habe.
Das Bundesamt für Justiz vertritt inzwischen wie Minister Maier die Auffassung, Telegram sei kein reiner Messengerdienst, sondern ein soziales Netzwerk. Folglich gelte für Telegram das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – so wie für Facebook und Twitter. Das verlangt unter anderem, dass strafbare Inhalte rasch gesperrt oder gelöscht werden.
Das Gesetz verpflichtet Anbieter zudem, einen leicht zugänglichen Meldeweg für strafbare Inhalte einzurichten und einen Zustellungsbevollmächtigten für Ersuchen deutscher Gerichte zu benennen. Da es beides bisher nicht gibt, laufen seit Mai zwei Bußgeldverfahren gegen Telegram. Das Unternehmen hat bislang allerdings nicht reagiert und bleibt damit der Linie treu, die sein Gründer und Geschäftsführer Pavel Durov seit Jahren verfolgt. Auf eine Auseinandersetzung mit der iranischen Regierung angesprochen, schrieb er 2015 auf Twitter, Telegram habe bislang keine Vereinbarungen mit irgendwelchen Regierungen getroffen und plane auch nicht, dies in Zukunft zu tun.
In letzter Konsequenz bliebe damit theoretisch nur ein drastisches Mittel übrig: Apple und Google zu überzeugen, die Telegram-App nicht mehr zum Download anzubieten. Wer sie schon installiert hat, könnte darüber aber weiter kommunizieren.
«Telegram war bereits früh bei extrem Rechten beliebt», sagt der Politikwissenschaftler Josef Holnburger vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), das Radikalisierungstendenzen in sozialen Medien beobachtet. 2018 habe sich die Identitäre Bewegung Telegram als neue Plattform ausgesucht, nachdem für die Bewegung wichtige Profile auf Instagram und Facebook gelöscht worden seien. Auf Telegram wollte man sich laut Holnburger dezentraler aufstellen und gründete Dutzende Regionalgruppen. Seit diesem Jahr kommt nach seiner Einschätzung noch hinzu, dass die US-Rechte sich eine neue Plattform sucht, nachdem sie sehr schlechte Erfahrungen mit Gab und Parler gesammelt habe.