Eines der ersten Worte, die der 20 Monate alte Elias sprach, war: «BMW». Und der Knirps zeigte auf einen. Marketing-Professor Jörg Tropp weiß bis heute nicht, warum sein Sohn dies tat. Die Familie fährt eine andere Marke.
«Fakt ist jedenfalls, dass sich die Konsumwelt bereits sehr früh mit der Lebenswelt eines Menschen kognitiv vernetzt», sagt der Kommunikationswissenschaftler der Pforzheimer Hochschule. Für ihn war das Erlebnis mit seinem Sohn mit ein Auslöser, moderner Werbung auf den Grund zu gehen.
Auffällig viel Schuhreklame nach dem Stiefeleinkauf, lästige Videos vor angeklickten Nachrichten oder Hotelangebote just im bevorzugten Urlaubsland – Werbung im Internet ist überall. Meist nervig, bisweilen beängstigend passgenau. Woher wissen die das alles? «Jedes Like bei Instagram, jeder Kommentar bei Twitter, jeder Online-Einkauf hinterlässt Spuren», sagt Experte Tropp. Und beim Nutzer das dumpfe Gefühl, unbekannten Mächten ausgeliefert zu sein.
Die richtigen Einstellungen und Tricks können helfen
«Algorithmen sammeln und verknüpfen alles, was sie über uns finden können, um Erkenntnisse über unsere Vorlieben, Wünsche, Bedürfnisse und Absichten zu gewinnen», erläutert er. In seinem Buch «Vernetzte Verführungen» zeigt er aber auch, dass Nutzer dem nicht schutzlos ausgeliefert sein müssten. Mit ein paar Tricks und Klicks könnten sie den Verführungen der Konsumindustrie selbstbestimmter entgegentreten.
Voraussetzung ist, so Tropp, dass Verbraucher das notwendige Wissen haben, Informationen von kommerziellen Botschaften unterscheiden zu können und konsequent darauf achten, welche Informationen sie über sich preisgeben. Er verweist darauf, dass man ein Werbeblocker-Programm (Adblocker) installieren, Suchmaschinen wie Metager oder Startpage statt Google nutzen und in Privacy-Browsern wie Brave, Epic und Tor surfen könnte. Schon das Löschen von Cookies kann große Wirkung haben und die lästige Fettabsauge-Werbung verbannen. Tropp betont: «Wir müssen nicht jedes Cookie aus Bequemlichkeit zulassen.»
Das Hauptproblem aus seiner Sicht: «Wir laufen Gefahr, dass wir für kommerzielle Botschaften blind werden.» So hat eine Stanford-Studie mit knapp 8000 US-Jugendlichen ergeben, dass diese kaum noch zwischen Nachrichten und Werbung im Internet unterscheiden können. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Untersuchung der britischen Medienaufsichtsbehörde Ofcom. Nicht besser sieht es hierzulande aus: Nach einer Studie der Bundeszentrale für politische Bildung, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie mehrerer Landesmedienanstalten hielten 56 Prozent der über 18-jährigen Befragten eine redaktionell aufgemachte Werbeanzeige für eine Information.
Thomas Rathgeb, Leiter der Abteilung Medienkompetenz bei der Landesanstalt für Kommunikation (LfK), erklärt sich das so: Wenn Jugendliche über den gleichen «Kanal» Nachrichten von Freunden, Lieblingsmusik, Games, News, klassische Online-Werbung und werbliche Inhalte von Influencern bekommen, sei die Unterscheidung schwierig. «Hier den Überblick zu behalten und Werbung zu erkennen, ist angesichts der kurzen, bildlastigen und streng formatierten Angebote nicht einfach.» Die Medienanstalten bieten im Internet verschiedene Hilfen an. Nötig sei Hintergrundwissen zu Funktionsweisen von Social Media, unterstreicht Rathgeb. In den Schulen finde Medienbildung noch zu wenig Beachtung.
Auch die Jüngsten müssen gut gewappnet werden
Auch Marketing-Experte Tropp sieht für Schulen großen Aufholbedarf. Schon die Jüngsten müssten besser für den Umgang mit Instagram, Facebook, Google und Co. gewappnet sein. «Wir müssen unsere Verbrauchersouveränität sichern», mahnt er.
Der Kern des Problems ist alt. US-Konsumkritiker Vance Packard warnte bereits 1957 in seinem Klassiker «Die geheimen Verführer» vor den Tücken der Werbenden. «Das Bestreben, den Willen der Verbraucher auszuschalten, ist an für sich nichts Neues», sagt Tropp. Neu seien aber die ungeahnten Möglichkeiten für die Werbeindustrie durch die Vernetzung im Internet.
Der Pforzheimer Professor will Werbung keinesfalls verteufeln. Er plädiert vielmehr für eine neue «Verführungskultur». Gefragt sei eine Haltung der Unternehmen, die von Empathie und Nachhaltigkeit geprägt sei. «Zentrale kommunikative Ressourcen wie Transparenz, Vertrauen und Respekt dürfen von der Werbung nicht länger aufgebraucht werden.» Gleichzeitig müssten Verbraucher aus der bequemen Ecke kommen und ihr Wissen umsetzen. Gewohnheit, Faulheit oder Zeitmangel: «Wir wissen viel über Werbung – und handeln trotzdem anders.» Das muss aufhören, sagt Tropp.