Carl Pei ist ein Meister des Marketings. Schon als Mitbegründer von OnePlus verstand es der Schwede mit chinesischen Wurzeln, mit innovativen Produkten und einem großen Hype mutig gegen die großen Spieler wie Apple und Samsung anzutreten.
Mit dem Rummel um das Nothing Phone 1 hat der Chef des britischen Elektronik-Start-ups Nothing aber selbst OnePlus-Verhältnisse übertroffen. Inzwischen ist das Phone 1 verfügbar und muss beweisen, ob es mit dem Hype mithalten kann.
Das Android-Smartphone mit seinen markanten Leuchtbalken auf der Rückseite ist ein Hingucker. Das ist nicht nur den Leuchtleisten aus insgesamt 900 Mikro-LED geschuldet, die Nothing als «Glyph» bezeichnet, also auf Deutsch «Bildzeichen». Auch die halbtransparente Rückseite, durch die manche Bauteile von außen zu erkennen sind, trägt zu dem einzigartigen Look bei. Die einzelnen LED-Segmente blinken bei Anrufen und Benachrichtigungen kurz auf. Die Ästhetik erinnert an die Hacker-Filme «Tron» (1982) und «Tron:Legacy» (2010).
Glyph: Ein Extra-Blinken für die Schwiegermutter
In Kombination mit den außergewöhnlichen Klingeltönen von Nothing, die piepsen und krächzen, kann man sich über mangelnde Aufmerksamkeit nicht beklagen. Wenn man sich an den Sounds satt gehört hat, kann man auch beliebige MP3-Dateien als Klingelton einbinden. Das Phone 1 generiert dann dazu passende Blinkmuster.
Pfiffig: Man kann einzelnen Kontakten nicht nur einen individuellen Klingelton zuordnen, sondern auch ein Leuchtmuster. So sieht man auch bei einem stummgeschalteten Gerät, wer gerade anruft – wenn man sich denn all die Blinkmuster merken kann. Die Leuchtstreifen können aber auch den Ladestand des Akkus anzeigen. Außerdem können sie bei einer Videoaufnahme im Dunkeln als Minileuchte hinzugeschaltet werden.
Die Glyph-Lichter sind in der Standardeinstellung ziemlich hell. Man kann die Helligkeit anpassen, 30 Prozent reichen völlig aus. Draußen im Sonnenlicht muss man die Helligkeit wieder höher einstellen, da man das Geblinke sonst kaum erkennen kann. Leider passt sich die Helligkeit nicht automatisch an die Umgebungsbedingungen an.
Flotter Bildschirm, bekannte Optik
Das Phone 1 erinnert mit seinem kantigen Aluminium-Rahmen stark an die aktuellen iPhone-Modelle von Apple. Es verfügt über einen 6,55-Zoll-OLED-Bildschirm mit HD-Auflösung (1080p). Außergewöhnlich gut für ein Mittelklasse-Smartphone ist die adaptive Bildwiederholfrequenz von bis zu 120 Hertz (Hz).
Zum Vergleich: Das für seinen guten Bildschirm gelobte Galaxy A53 5G von Samsung erreicht ebenfalls eine Bildwiederholfrequenz von 120 Hz. Das OnePlus Nord 2 schafft nur 90 Hz und das Google Pixel 6a verfügt über einen Bildschirm mit 60 Hz. Das Display des Phone 1 bietet aber nicht nur mit seiner hohen Bildwiederholfrequenz ein sehr flüssiges Scrolling. Mit knapp 700 Candela Leuchtstärke ist es auch schön hell.
Im Inneren gibt es Mittelklasse und gute Akkulaufzeit
Beim Hauptprozessor setzt Nothing auf den Mittelklasse-Chipsatz Snapdragon 778+ mit 5G-Mobilfunk. Der steckt auch im Motorola Edge 20 für knapp 380 Euro. Das Phone 1 ist mindestens 90 Euro teurer: Das Einstiegsmodell mit 8 Gigabyte (GByte) Arbeitsspeicher (RAM) kostet knapp 470 Euro. Bei 12 GByte werden sogar knapp 550 Euro fällig.
Der Akku mit einer Kapazität von 4500 Milliamperestunden (mAh) bietet gute Laufzeiten. Beim Standard-Test (Abspielen eines Youtube-Videos mit 200 Nits Bildschirmhelligkeit) machte das Phone 1 erst nach knapp 21 Stunden schlapp. Das Gerät unterstützt kabelgebundenes Schnellladen mit 33 Watt.
Damit kann man den Akku in 70 Minuten komplett aufladen. Nothing legt kein Netzteil in die Schachtel. Die besten Werte erzielt man mit einem Ladegerät, das mit dem Standard Quick Charge 4.0 kompatibel ist. Das Phone 1 unterstützt außerdem drahtloses Laden mit bis zu 15 Watt und kann Kopfhörer drahtlos mit 5 Watt Strom versorgen («reverse charging»).
Die Kamera erreicht keine Spitzenleistung
Während das Phone 1 bei der Stromversorgung also weit oben spielt, kann man für die Kameras trotz des gegenwärtigen Hypes von Nothing keine Bestnoten verteilen. Es kommen zwei Objektive zum Einsatz: ein Weitwinkel und ein Ultraweitwinkel, die jeweils 50 Megapixel bieten.
Insbesondere die Bilder mit der Ultraweitwinkel-Kamera haben keine Top-Qualität. Es fehlt an Kontrast und Schärfe. Die Optik beherrscht auch kein 4K-Video. Deutlich mehr überzeugt die Hauptkamera mit einem Sony-IMX766-Sensor. Hier geraten die Bilder detailreich und schön scharf, zumindest solange genügend Umgebungslicht vorhanden ist. Bei schlechten Lichtverhältnissen tritt aber ein Farbrauschen auf und manche Bilddetails gehen verloren. Noch schwächer fällt die Qualität aus, wenn der Zoom zum Einsatz kommt.
Schlankes Android ohne nervige Bloatware
Nothing liefert das Phone 1 mit einem Betriebssystem auf Basis von Android 12 aus. Wegen einer eigenen Optik nennt der Hersteller das System Nothing OS, obwohl es sich weitgehend um ein Original-Android handelt. Der Hersteller behelligt die Käuferinnen und Käufer auch nicht mit unnützer Bloatware, sondern liefert nur die Standard-Apps von Google mit aus. Das Phone 1 wird drei Jahre lang mit neuen Android-Versionen versorgt und vier Jahre lang mit Sicherheitsupdates.
Fazit: Wer nach einem Mittelklasse-Smartphone sucht, das aus der Masse heraussticht, ist bei Nothing an der richtigen Adresse. Man bekommt nicht nur ein modisches Statussymbol, sondern ein solides Gerät, das alle Aufgaben des Alltags gut bewältigen kann. Leider ist das Gerät nicht wasserdicht. Dafür überzeugt das Phone 1 bei der Ausdauer. Man muss sich allerdings im Klaren darüber sein, dass beim modischen Phone 1 im Vergleich zu anderen Mittelklasse-Handys ein Preisaufschlag von rund 100 Euro fällig wird. Die Glyphen haben ihren Preis.