Im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern könnte das Internet künftig deutlich stärker durchleuchtet werden.
Wie aus einem am Mittwoch vorgestellten Gesetzentwurf hervorgeht, könnten Anbieter wie Google oder Facebook verpflichtet werden, ihre Dienste mithilfe von Software nach entsprechenden Darstellungen zu durchsuchen.
Zudem soll ein EU-Zentrum eingerichtet werden, das unter anderem entsprechende Technologie bereitstellen soll. «Wir werden euch finden», sagte die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson an Straftäter gerichtet.
Hohe Dunkelziffer
Dabei wird das Netz derzeit mit entsprechenden Darstellungen geflutet und das Problem wird größer. Nach Angaben der EU-Kommission wurden 2021 weltweit 85 Millionen Bilder und Videos gemeldet, die sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen. Die Dunkelziffer sei deutlich höher. Die Stiftung Internet Watch habe für 2021 einen Anstieg der Meldungen über bestätigten sexuellen Kindesmissbrauch um 64 Prozent im Vergleich zum Vorjahr festgestellt.
Die Täter seien oft Menschen, denen das Kind vertraue, so Johansson. «Und diese Verbrechen bleiben sehr oft im Dunkeln, bis der Täter sie online veröffentlicht.» Erst die Fotos und Videos ermöglichten häufig die Strafverfolgung. Dass die Abbildungen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs immer öfter ihren Weg ins Netz fänden, liege auch an der Austauschkultur der Kriminellen. Um Kinderpornografie von anderen Tätern zu bekommen, könne eine Voraussetzung sein, selbst eine Vergewaltigung eines Kindes per Livestream zu übertragen.
Mehrheit junger Mädchen bekam ungewollt Nacktbilder
Dabei sind solche extremen Beispiele nur die Spitze des Eisbergs. Es gebe eine Untersuchung aus Schweden, bei der 80 Prozent der befragten Mädchen im Alter zwischen zehn und 13 Jahren angegeben hätten, bereits ungewollt Nacktbilder von unbekannten Erwachsenen erhalten zu haben, betonte Johansson. «Ich denke, ich habe eine große Mehrheit der Bürger auf meiner Seite», sagte die Schwedin mit Blick auf ihren Gesetzesentwurf.
Konkret besagt dieser, dass Unternehmen analysieren müssen, wie groß das Risiko ist, dass über ihre Dienste Missbrauchsdarstellungen verbreitet werden oder sogenanntes Grooming – also wenn Erwachsene mit einer Missbrauchsabsicht Kontakt mit Minderjährigen aufnehmen – betrieben wird. Kommt man zum Schluss, dass ein erhebliches Risiko besteht, können nationale Behörden oder Gerichte anordnen lassen, dass Inhalte automatisch von Software überprüft und strafbare Inhalte aufgespürt werden.
Die dafür verwendete Technologie soll keine anderen Informationen extrahieren können als die, die auf die Verbreitung von Missbrauchsmaterial hindeuten, heißt es in dem Gesetzentwurf. Gleiches gilt für Grooming. Die Software soll zudem so gestaltet sein, dass sie den geringstmöglichen Eingriff in die Privatsphäre von Nutzerinnen und Nutzern darstellt.
Welche Technik kommt zum Einsatz?
Welche Technologie genau zum Einsatz kommen soll, geht nicht aus dem Gesetzentwurf hervor. Damit ist auch unklar, wie die Durchleuchtung der Netzinhalte technisch genau realisiert würde und ob etwa eine Verschlüsselung von Nachrichten umgangen werden könnte. Anbieter müssen allerdings konkret sicherstellen, dass Kinder keine Apps herunterladen können, die eine erhöhte Grooming-Gefahr bergen, sowie dass Missbrauchsdarstellungen gelöscht oder blockiert werden. Es muss auch bekannt sein, ob ein Account einem Minderjährigen oder Erwachsenen gehört.
EU-Parlament und EU-Staaten müssen nun über den Vorschlag beraten und sich auf eine endgültige Fassung einigen. Es kann also noch zu Änderungen kommen.
«Stasi 2.0»
Die ersten Reaktionen fielen gemischt aus. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte den Vorschlag. «Mit klaren Rechtsgrundlagen, verbindlichen Meldewegen und einem neuen EU-Zentrum können wir Prävention und Strafverfolgung EU-weit sehr deutlich stärken», teilte sie mit. «Dass wir Unternehmen künftig verpflichten, den sexuellen Missbrauch von Kindern zu erkennen und zu melden, ist ein wichtiger und überfälliger Schritt im Kampf gegen Kindesmissbrauch», sagte die innenpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Lena Düpont.
Der FDP-Abgeordnete Moritz Körner sprach hingegen von einer «Stasi 2.0». Er befürchtet Eingriffe in die Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern. Konstantin von Notz von den Grünen kritisiert, dass private Unternehmen zum systematischen Scannen von privaten Text-, Bild- und Videoinhalten verpflichtet werden könnten. «Es bestehen massive Zweifel, dass dies mit geltendem europäischen wie deutschen Grundrecht sowie der EuGH-Rechtsprechung vereinbar ist.» Der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken bezeichnete die zum Aufspüren der Netzinhalte vorgesehen Software als «Horrorfilter». Die Verordnung versuche vorzugaukeln, dass Privatsphäre und Datenschutz garantiert werde. «Der Text ist zudem undurchdringbar und verwirrend verfasst», schrieb Wölken auf Twitter.