Zählerstand-Ablesen an sich ist erstmal eine recht analoge Angelegenheit. Doch wenn bei Energieversorgern die Daten eintrudeln, müssen sie überprüft werden.
Allein bei der Karlsruher EnBW seien das Hunderttausende Daten jährlich gewesen, sagt Emma Leibfried. Das Erfassungssystem hat einen Plausibilitätscheck, vieles muss aber von Hand geprüft werden. Diese Zahl konnte laut Leibfried nun deutlich reduziert werden – dank künstlicher Intelligenz (KI). Deren Einsatz kann sich also lohnen – im wahrsten Sinne des Wortes.
Die EnBW baut KI nicht nur aus – wie viele andere Unternehmen auch. Sie nutzt sie auch schon zur Wertschöpfung. Klingt erstmal abstrakt. Der KI-Konzernbeauftragte Rainer Hoffmann erklärt, eine Verbesserung müsse sich in Euro übersetzen lassen. «Wir machen keine Initiative, die keinen Wert bringt.» Mehr als 60 KI-Projekte laufen mittlerweile.
Jenes zu Zählerständen ist nur ein Beispiel. Tobias Zeh wiederum hat mit KI ein Programm erarbeitet, das vorhersagt, welche Gasleitungen wann ausgetauscht werden sollten – bevor sie marode werden. Material spiele dabei ebenso eine Rolle wie die Frage, ob über den Rohren tiefwurzelnde Bäume wachsen. All das berücksichtigt die KI. So könne die EnBW rechtzeitig auswechseln, sagt Zeh. Es muss nicht erst ein Leck alles lahmlegen. Das System soll auch auf andere Leitungsarten übertragen werden und bei der Planung von Baumaßnahmen helfen.
Doch wie misst man Wertschöpfung durch KI? Merle Uhl, Referentin Künstliche Intelligenz & Digitalisierung beim Digitalverband Bitkom sagt, das gehe meist für den Einzelfall. «Wenn eine KI genutzt wird, um in der Logistik optimale Fahrtrouten zu planen, dann wäre eine Messgröße die benötigte Zeit für Auslieferungen, Benzinverbrauch und Personaleinsatz», gibt sie ein Beispiel. «Schwieriger wird es, wenn man darüber hinaus noch die gesellschaftlichen Auswirkungen – etwa durch einen verminderten Schadstoffausstoß – mit erfassen möchte.»
Viele Unternehmen gehen einer Bitkom-Studie zufolge davon aus, dass KI zur Wertschöpfung beitragen wird. So erwarteten 44 Prozent schnellere und präzisere Problemanalysen durch KI, 35 Prozent beschleunigte Prozesse und 30 Prozent einen geringeren Ressourcenverbrauch, wovon ebenso die Umwelt profitieren würde.
Auch der Technologiekonzern Bosch aus Gerlingen bei Stuttgart etwa, der bis 2025 alle Produkte mit KI ausrüsten, entwickeln oder herstellen will, hat zum Beispiel im niedersächsischen Werk Hildesheim beim Produktionshochlauf einer neuen Linie dank KI Störungen identifiziert und beseitigt. «Die Taktzeiten ließen sich von 104 Sekunden auf 87 Sekunden senken», erklärt Sprecherin Christiane Wild-Raidt. Nicht nur die Kapazität wurde erweitert. «Geplante Investitionen reduzierten sich so um eine Million Euro.»
Alexander Linden von der Analysefirma Gartner sagt, KI bringe Unternehmen Milliarden. Manche Unternehmen optimierten damit Preise, andere nutzten die Technik wie die EnBW bei Instandhaltungsfragen (Predictive Maintenance). «Es gibt Tausende von Use Cases», sagt Linden. Doch im Vergleich etwa zu den USA seien deutsche Unternehmen etwas skeptischer bei der Anwendung – größtenteils aber mit den Ergebnissen bisheriger Projekte zufrieden, wie eine Erhebung ergab.
Dennoch seien etwa erst fünf Prozent von dem, was KI kann, auch umgesetzt, so Linden. Daher schwanken Zahlen und Einschätzungen durchaus: In der Bitkom-Studie gaben nur acht Prozent der Unternehmen an, KI-Anwendungen einzusetzen. «Wir sind daher in Deutschland eher noch in einer Phase, in der wir die Verbreitung und Nutzung von Künstlicher Intelligenz voranbringen müssen, wenn wir unsere Wettbewerbsfähigkeit erhalten wollen», erklärt Referentin Uhl.
Die Initiative AppliedAI aus München unterstützt Firmen auf dem Weg ins KI-Zeitalter. Sie legt strenge Kriterien an, wie Andreas Liebl erläutert: «Es geht darum, wirklich datengetrieben KI einzusetzen.» Da gehe es nicht um Google Maps oder Chatbots. «Es ist wichtig, dass wir uns nicht anlügen als Nation.» Wertschöpfung müsse durch KI generiert werden. Soweit sei aber erst ein Bruchteil der Firmen.
Auch die EnBW arbeitet mit AppliedAI zusammen. Ein großes Problem ist nach Auskunft ihres KI-Experten Hoffmann, überhaupt erstmal passende Datengrundlagen zu finden, mit denen man arbeiten kann. Der Konzern habe mehrere Töchter, überall seien Abläufe unterschiedlich. Das war früher kein Problem. «Aber heute weiß man: Daten haben einen Wert», sagt Hoffmann. «Wir müssen Data-Pipelines aufbauen, Lücken schließen, Daten nutzbar machen, damit jemand damit arbeiten kann.»
Dafür brauche es aber Spezialisten wie sogenannte Data Engineers. Und die seien rar. Laut Bitkom fehlten zuletzt rund 90.000 IT-Fachkräfte in Unternehmen aus allen Branchen. 65 Prozent der Firmen ab 20 Beschäftigten nannten den Fachkräftemangel als eine der größten Hürden bei der Digitalisierung. Und auch wenn Bosch nach eigenen Angaben bislang Stellen gut besetzen konnte, bemerkt der Konzern, «dass die Nachfrage nach Spezialisten in einigen Bereichen angezogen hat». Die Suche nach Senior Experten im Softwarebereich zum Beispiel für automatisiertes Fahren und KI dauere im Schnitt etwas länger. «Hier erwarten wir in den kommenden Jahren eine weitere Verschärfung des Wettbewerbs», prognostiziert Sprecherin Wild-Raidt.
Bosch und EnBW schulen eigene Mitarbeiter in Sachen KI. Leibfried und Zeh sind zwei der neuen Fachleute beim baden-württembergischen Energieversorger. Nur so finde man die richtigen Anwendungsfälle und könne das Thema «ins Feld» bringen, ist Hoffmann überzeugt. «Die digitale Transformation betrifft alle Geschäftsbereiche.»